Erste
Studienergebnisse über aktuelles Wissen um ethische und rechtliche Berufsrichtlinien
sowie die Verantwortung von Influencer:innen und ihren Auftraggeber:innen gegenüber
der Gesellschaft in Österreich erschienen
Angesichts der steigenden
Relevanz der Mediennutzung von Heranwachsenden sind Influencer:innen und deren
mediale und werbliche Praktiken in vielen Fällen Teil des Medien- und
Marketingmix. Im Hinblick auf den besonderen Schutz von Minderjährigen ist
dabei die Etablierung von ethischem Bewusstsein in einem sich zunehmend
professionalisierenden Berufsfeld von besonderer Bedeutung.
Doch welches Wissen haben
Influencer:innen über ethische und rechtliche Berufsrichtlinien – in Bezug auf
Selbstregulierung in der Werbung und Jugendschutz? Welches berufliche
Selbstverständnis gibt es und wie sieht generell deren Praxis aus?
Erkenntnisse dazu liefern die
aktuellen Forschungsergebnisse der FH St. Pölten im Auftrag des
Österreichischen Werberats (ÖWR) und des Jugendmedienschutz-Vereins (JMS). Eine
qualitative Befragung von ausgewählten österreichischen Influencer:innen,
Auftraggeber:innen und Digitalmarketing-Agenturen über Rahmenbedingungen und
Handlungsmaximen erlaubt erstmals einen Blick auf deren Beruf.
Gelebter Jugendmedienschutz
Die gute Nachricht zu Beginn: Themen
des Jugendschutzes sind vielfach gelebte Praxis, und das sowohl bei
Influencer:innen, Auftraggeber:innen als auch bei Digitalmarketing-Agenturen. Die
Beweggründe liegen einerseits in wirtschaftlichen Erwägungen (Markenfit und
Image der Brand), andererseits in der Sorge um Reichweiten- und in der
Konsequenz schließlich Kapitalverlust der Influencer:innen. Die diesen Prozess
moderierenden Digitalmarketing Agenturen handeln ebenso aus den genannten
wirtschaftlichen Erwägungen.
Anderseits verdeutlicht der fokussierte
Blick auf die Motive zur Berücksichtigung von Jugendmedienschutz-Faktoren, dass
in der beruflichen Praxis vorderhand das Konzept der Fremdregulierung angewandt
wird. Influencer:innen berücksichtigen vor allem die Rahmenbedingungen und
Community Guidelines der Plattformen in Sozialen Medien, wenngleich sie durchaus
auch den rechtlichen Rahmenbedingungen in Österreich entsprechen wollen. Die Studie hat jedoch gezeigt,
dass die Kenntnis der vorhandenen rechtlichen Vorgaben mangelhaft ist. Die
diesbezügliche Differenz zwischen Anspruch und Realität wird in der Frage der
Kennzeichnungspflicht deutlich. Selbst auferlegte Regeln resultieren vielfach
aus den Wahrnehmungen zum Verhalten des Publikums und damit aus den
Konsequenzen ihres Tuns.
Der Blick auf Vorgaben im
Zusammenhang mit Werbung ergibt ein ähnliches Bild: Die Kenntnis der
bestehenden Regeln ist oft lückenhaft, obwohl andererseits durchaus der Wunsch
besteht, diese einzuhalten. Dies ist nicht zuletzt darauf zurückzuführen, dass
Werbetreibende großen Wert auf Mindeststandards auch in diesem Bereich legen.
„Das große ethische Bewusstsein bei
den handelnden Akteuren und die Bereitschaft den vorhandenen oben genannten
Regeln entsprechen zu wollen, ist ein durchaus erfreuliches Ergebnis und eine gute
Ausgangssituation für weitere selbstregulierende Aktivitäten zur
Professionalisierung der Branche“, erklärt ÖWR-Präsident Michael Straberger.
Denn, Entwicklungspotenzial und Handlungsbedarf ist jedenfalls gegeben: „So ist
aus den Befunden der empirischen Forschung nicht nur ein Defizit im Hinblick
auf das Wissen um die bestehenden Regeln, sondern auch um die existierenden Selbstregulierungsorganisationen
in Österreich und deren Arbeit feststellbar“.
Doch nicht nur das: Das Bedürfnis
nach einer Anlaufstelle, die Fragen zur Kennzeichnungspflicht oder zu Sozial-
und Steuerrecht beantwortet, wurde ebenso klar zum Ausdruck gebracht wie der damit
einhergehende Wunsch nach einer Berufsvertretung und Lobby, die die Angehörigen
der Branche und deren Interessen vertritt. Ziel solcher Netzwerke
wäre die Etablierung von Standards im Hinblick auf die Qualität des Contents
und die Festschreibung von Prozessen des Influencer:innen Marketings, ebenso
wie die respektvolle Kommunikation mit Influencer:innen.
„Denkt man den Anspruch an Qualität
weiter, geht er auch mit dem Thema Jugendmedienschutz einher“, ergänzt JMS-Vorsitzende
Helga Tieben. „Aufgrund des großen Impacts, den Influencer:innen auf
Jugendliche haben, ist es umso wichtiger, dass die Ziele und Anforderungen des
Jugendschutzes auch in die Gestaltung ihres Contents einfließen. Voraussetzung
dafür ist natürlich das Wissen über Jugendschutzvorgaben. Mit dieser Studie
leisten wir einen aktiven Beitrag für mehr Awareness rund um das Thema
Jugendmedienschutz bei Influencer:innen.“
Gemeinsam wolle man, so
Straberger und Tieben unisono, das Potenzial der Selbstregulierungen nützen und
Maßnahmen zur Awarenessbildung setzen. Eine der ersten Aktivitäten ist eine
gemeinsame Veranstaltung von ÖWR und JMS zum Thema "Influencer:innen
zwischen schneller Reichweite und verantwortungsbewusstem Handeln" am
29.2.2024, die die Möglichkeit des direkten Gedankenaustauschs zwischen
Influencer:innen, Digitalmarketing Agenturen, Werbetreibenden und
Fachexpert:innen bietet.
Die Ergebnisse im Detail:
Im Sinne der dreidimensionalen
Ausleuchtung des Feldes Influencer:innen-Marketing wurden in der empirischen
Forschung drei Berufsgruppen qualitativ befragt und entsprechend ausgewertet:
Influencer:innen, Digitalagenturen und Auftraggeber:innen. In Summe wurden 18
Personen in qualitativen Gruppendiskussionen befragt.
@ Digitalagenturen:
- Eine der wesentlichen Aufgaben der Agenturen besteht in der
Recherche und Akquirierung von passenden Influencer:innen bzw. Content
Creator:innen. Selbstregulierungs-Richtlinien und gesetzliche Rahmenbedingungen
im Hinblick auf den Schutz von Minderjährigen werden grundsätzlich angewendet.
- Prüfkriterien bei der Auswahl von Influencer:innen sind, ob diese Inhalte zu Gewalt, Sexualität, Alkohol und
Drogenmissbrauch oder ungesundem Lebensstil produzieren. Zur Vermeidung von Desorientierung werden Influencer:innen
ausgeschlossen, die sich politisch, vor allem im extremen rechten Lager,
positionieren.
- Compliance Vorgaben, schriftliche Vereinbarungen und Regelwerke
für die Zusammenarbeit bzw. die Zeiträume der Kooperationen mit Unternehmen
sind auf Seiten der befragten Agenturen nicht üblich. Regeln und Grenzen werden
oftmals von auftraggebenden Unternehmen fixiert.
- Die Entscheidung zur Zusammenarbeit und Empfehlungen zum
erarbeiteten Content der Influencer:innen unterliegen Ermessensspielräumen
der Verantwortlichen in den Agenturen.
Grundsätzlich
wird Content zu folgenden Themen jedoch nicht toleriert:
o Alkohol und Suchtmittel
o Darstellung von Sexualität
o Gewaltdarstellungen
o Diskriminierung von Randgruppen
Graubereiche gibt es beim Thema
verbale Gewalt und Schimpfwörter sowie Sexualität, die aus einem aufklärenden
und emanzipatorischen Anspruch entsteht.
- Ethische Grenzen bei Auftragsannahme: Die Brands müssen mit den Wertekatalogen der Agenturen kompatibel
sein. Abgelehnt werden iaR Kund:innen, die politisch rechte Positionen repräsentieren,
Gewalt verherrlichen, oder Frauen- und Minderheitenfeindlichkeit sind. Von
eine:m Befragten wurde Nachhaltigkeit als Anspruch an die Unternehmen genannt.
- Zertifizierungen und Blacklists zu Influencer:innen existieren
innerhalb des Samples der Agenturen nicht.
@ Unternehmen und Auftraggeber:innen
-
Die meisten auftraggebenden
Unternehmen treffen ausgehend vom Screening der Digitalmarketing-Agenturen ihre
Entscheidungen über die Beauftragung von Influencer:innen. Gründe für das
Outsourcing dieses Screenings an Agenturen sind:
o Expertise im sich rasch wandelnden Feld des
Influencer-Marketings.
o Schnelle Recherche von geeigneten Influencer:innen
o Effiziente Kontaktaufnahme
Prüfkriterien bei der Auswahl von Influencer:innen:
o Reichweite und Kosten,
o Brandfit der Influencer:innen
o Authentizität der Persönlichkeit bzw. des zur Schau getragenen Lebensstils,
die/der zur Marke passen muss
Ausschlusskriterien sind:
o Personen/Inhalte, die demokratischen Werten entgegenstehende politische
Positionierung erkennen lassen (Desorientierung)
o In manchen Fällen gilt Politik generell als Ablehnungsgrund
o Das zur Schau stellen von Sexualität und Nacktheit
o Gewaltdarstellungen respektive Gewaltverherrlichung
o Diskriminierung von Minderheiten
o Konsum von Suchtmitteln
Prüfkriterien des Contents
o Starker Fokus auf korrekte Kennzeichnung
o Repräsentierte Werte und Botschaften, um das Kampagnenziel zu
erreichen und die Marke nicht zu schädigen oder zu konterkarieren.
o Damit werden – analog zu den Überlegungen bei der Beauftragung -
auch Themen des Jugendschutzes geprüft.
- Auch private Unternehmen führen weder eine Negativbewertung
(„Blacklist“) noch eine Zertifizierung von Influencer:innen durch. Das befragte
Unternehmen der öffentlichen Hand besitzt eine Liste geeigneter Influencer:innen, um Ausgewogenheit bei der Beauftragung
zu erreichen.
- Erfolgsmessung: Beim Reporting
der Kampagnen stehen klassische Messwerte und Key Performance Indikatoren im
Zentrum, wie Reichweite, Engagement, Kommentare.
@ Influencer:innen
- Berufliche Herausforderungen und Problemlagen:
o Die Klärung der richtigen Kennzeichnung von Werbekooperationen: Das Bewusstsein
um die grundsätzliche Verpflichtung besteht, das sichere Wissen im Detail
existiert allerdings nicht. Veränderungen innerhalb der Plattformen sowie der
Ländergesetzgebung führen unisono zu Verunsicherung. Teilweise werden
regelmäßige Überlegungen zur Frage des Copyrights wie zum Thema Einhaltung der
DSGVO beschrieben.
o Influencer:innen und ihr Publikum: Influencer:innen (vor allem reichweitenstarke) vermissen eine
konkrete Vorstellung von ihrem Publikum. Resonanz durch die Posts der
Follower:innen fördert zwar die Vorstellung vom Publikum, liefert aber nicht
zwingend ein korrektes Bild davon. Auch weitere Tools der Sozialen Medien für Publikumsforschung
und Insights zur Reichweite, zu Clicks, zur Nutzungsdauer oder zu Herkunft,
Alter, Geschlecht des Publikums liefern zahlreiche Daten, jedoch kein konkretes
Bild.
o Diese Einschätzung bestätigt die Wahrnehmung der befragten Micro
Influencerin (zw. 1.000 und 25.000 Follower), die eine gute Verbindung zu ihrem
Publikum und dessen Informationsbedürfnissen beschreibt. Sie sieht sich als
Person sehr klar in der Verantwortung gegenüber ihrem Publikum.
-
Klare Grenzen
des beruflichen Tuns, die mit dem Thema Jugendmedienschutz einhergehen:
o Eindeutige No-Gos sind: Gewalt, Hass, Drogen, Nikotin, Alkohol,
Nacktheit oder sexuelle Handlungen
o Sorgsamer Umgang mit Sprache und Minderheiten ist wichtig
o Grenzen werden in der Darstellung des Privatlebens gezogen
o Auch politische Positionierungen und damit potenzielle
Desorientierung werden von den befragten Influencer:innen vermieden
-
Auftragsannahme: Es erfolgt eine genaue Abwägung der Kooperationen, da eine
schlechte Kooperation mit Verlust des Vertrauens und der Glaubwürdigkeit
einhergehen kann (Kapitalverlust)
o Auszuschließende Branchen sind: Tabak/Nikotin, Glückspiel, Online-Gaming und nicht nachhaltig
arbeitende Brands
o Werbekennzeichnung wird grundsätzlich ernst genommen
o Hersteller von hochprozentigem Alkohol ebenso wie Events, die zu
Trinkexzessen einladen, werden ebenfalls abgelehnt.
- Die rechtlichen Vorgaben des Jugendmedienschutzes sind den
Influencer:innen nicht bekannt, deren Einhaltung resultiert eher aus allgemeinen
Werten der Gesellschaft. Darüber hinaus wurzelt die Berücksichtigung der
Faktoren zum Schutz von Minderjährigen in der Sorge vor einer Sperre durch die
Plattformen und dem damit einhergehenden Verlust von Reichweite.
- Feststellbar ist, dass mit einer Ausnahme keine:r der
Influencer:innen des Samples Selbstregulierungsorganisationen kennt und keine:r
mit den daraus resultierenden Kodizes vertraut ist.
Foto: © KatharinaSchiffl
Im Bild (v.li.): JMS-Vorsitzende Helga Tieben, JMS-GFin Alice Krieger-Schromm, ÖWR-Präsident Michael Straberger, ÖWR-GFin Andrea Stoidl, JMS- & ÖWR-Vorstandsmitglied Corinna Drumm
Über den
Österreichischen Werberat
Der
Österreichische Werberat (ÖWR) ist ein unabhängiges Organ des Vereins
„Gesellschaft zur Selbstkontrolle der Werbewirtschaft“. Der ÖWR fördert mittels
freiwilliger Selbstbeschränkung der Österreichischen Werbewirtschaft das
verantwortungsbewusste Handeln der Werbewirtschaft und ihr Ansehen in der
Öffentlichkeit. Die Zuständigkeit des Werberates erstreckt sich auf alle
Maßnahmen im Bereich Wirtschaftswerbung. Im Detail hat der ÖWR die Aufgabe
Fehlentwicklungen bzw. Missbräuche in der Werbung zu korrigieren und dient
damit sowohl dem KonsumentInnen als auch verantwortungsbewussten
Werbeunternehmen.
Über den Jugendmedienschutzverein
Der Verein zur Selbstkontrolle audiovisueller Medienangebote zum
Schutz von Minderjährigen (Jugendmedienschutzverein JMS) ist das
Selbstregulierungsorgan der audiovisuellen Medienbranche in Österreich. Das
wichtigste Ziel des Vereins ist der Schutz von Minderjährigen vor
audiovisuellen Inhalten, die ihre körperliche, geistige oder sittliche Entwicklung
beeinträchtigen können. Hierfür wurden österreichweit einheitliche,
verbindliche Jugendmedienschutzvorgaben in gemeinsamen Verhaltensrichtlinien
festgehalten, die für die audiovisuellen Mediendiensten in Österreich gelten.