Influencer:innen in Österreich zwischen Selbst- und Fremdwahrnehmung

29.02.2024

Erste Studienergebnisse über aktuelles Wissen um ethische und rechtliche Berufsrichtlinien sowie die Verantwortung von Influencer:innen und ihren Auftraggeber:innen gegenüber der Gesellschaft in Österreich erschienen

Angesichts der steigenden Relevanz der Mediennutzung von Heranwachsenden sind Influencer:innen und deren mediale und werbliche Praktiken in vielen Fällen Teil des Medien- und Marketingmix. Im Hinblick auf den besonderen Schutz von Minderjährigen ist dabei die Etablierung von ethischem Bewusstsein in einem sich zunehmend professionalisierenden Berufsfeld von besonderer Bedeutung. 

Doch welches Wissen haben Influencer:innen über ethische und rechtliche Berufsrichtlinien – in Bezug auf Selbstregulierung in der Werbung und Jugendschutz? Welches berufliche Selbstverständnis gibt es und wie sieht generell deren Praxis aus?

Erkenntnisse dazu liefern die aktuellen Forschungsergebnisse der FH St. Pölten im Auftrag des Österreichischen Werberats (ÖWR) und des Jugendmedienschutz-Vereins (JMS). Eine qualitative Befragung von ausgewählten österreichischen Influencer:innen, Auftraggeber:innen und Digitalmarketing-Agenturen über Rahmenbedingungen und Handlungsmaximen erlaubt erstmals einen Blick auf deren Beruf.

 

Gelebter Jugendmedienschutz

Die gute Nachricht zu Beginn: Themen des Jugendschutzes sind vielfach gelebte Praxis, und das sowohl bei Influencer:innen, Auftraggeber:innen als auch bei Digitalmarketing-Agenturen. Die Beweggründe liegen einerseits in wirtschaftlichen Erwägungen (Markenfit und Image der Brand), andererseits in der Sorge um Reichweiten- und in der Konsequenz schließlich Kapitalverlust der Influencer:innen. Die diesen Prozess moderierenden Digitalmarketing Agenturen handeln ebenso aus den genannten wirtschaftlichen Erwägungen.

Anderseits verdeutlicht der fokussierte Blick auf die Motive zur Berücksichtigung von Jugendmedienschutz-Faktoren, dass in der beruflichen Praxis vorderhand das Konzept der Fremdregulierung angewandt wird. Influencer:innen berücksichtigen vor allem die Rahmenbedingungen und Community Guidelines der Plattformen in Sozialen Medien, wenngleich sie durchaus auch den rechtlichen Rahmenbedingungen in Österreich entsprechen wollen. Die Studie hat jedoch gezeigt, dass die Kenntnis der vorhandenen rechtlichen Vorgaben mangelhaft ist. Die diesbezügliche Differenz zwischen Anspruch und Realität wird in der Frage der Kennzeichnungspflicht deutlich. Selbst auferlegte Regeln resultieren vielfach aus den Wahrnehmungen zum Verhalten des Publikums und damit aus den Konsequenzen ihres Tuns.

Der Blick auf Vorgaben im Zusammenhang mit Werbung ergibt ein ähnliches Bild: Die Kenntnis der bestehenden Regeln ist oft lückenhaft, obwohl andererseits durchaus der Wunsch besteht, diese einzuhalten. Dies ist nicht zuletzt darauf zurückzuführen, dass Werbetreibende großen Wert auf Mindeststandards auch in diesem Bereich legen.

„Das große ethische Bewusstsein bei den handelnden Akteuren und die Bereitschaft den vorhandenen oben genannten Regeln entsprechen zu wollen, ist ein durchaus erfreuliches Ergebnis und eine gute Ausgangssituation für weitere selbstregulierende Aktivitäten zur Professionalisierung der Branche“, erklärt ÖWR-Präsident Michael Straberger. Denn, Entwicklungspotenzial und Handlungsbedarf ist jedenfalls gegeben: „So ist aus den Befunden der empirischen Forschung nicht nur ein Defizit im Hinblick auf das Wissen um die bestehenden Regeln, sondern auch um die existierenden Selbstregulierungsorganisationen in Österreich und deren Arbeit feststellbar“.

Doch nicht nur das: Das Bedürfnis nach einer Anlaufstelle, die Fragen zur Kennzeichnungspflicht oder zu Sozial- und Steuerrecht beantwortet, wurde ebenso klar zum Ausdruck gebracht wie der damit einhergehende Wunsch nach einer Berufsvertretung und Lobby, die die Angehörigen der Branche und deren Interessen vertritt. Ziel solcher Netzwerke wäre die Etablierung von Standards im Hinblick auf die Qualität des Contents und die Festschreibung von Prozessen des Influencer:innen Marketings, ebenso wie die respektvolle Kommunikation mit Influencer:innen.

„Denkt man den Anspruch an Qualität weiter, geht er auch mit dem Thema Jugendmedienschutz einher“, ergänzt JMS-Vorsitzende Helga Tieben. „Aufgrund des großen Impacts, den Influencer:innen auf Jugendliche haben, ist es umso wichtiger, dass die Ziele und Anforderungen des Jugendschutzes auch in die Gestaltung ihres Contents einfließen. Voraussetzung dafür ist natürlich das Wissen über Jugendschutzvorgaben. Mit dieser Studie leisten wir einen aktiven Beitrag für mehr Awareness rund um das Thema Jugendmedienschutz bei Influencer:innen.“

Gemeinsam wolle man, so Straberger und Tieben unisono, das Potenzial der Selbstregulierungen nützen und Maßnahmen zur Awarenessbildung setzen. Eine der ersten Aktivitäten ist eine gemeinsame Veranstaltung von ÖWR und JMS zum Thema "Influencer:innen zwischen schneller Reichweite und verantwortungsbewusstem Handeln" am 29.2.2024, die die Möglichkeit des direkten Gedankenaustauschs zwischen Influencer:innen, Digitalmarketing Agenturen, Werbetreibenden und Fachexpert:innen bietet.

 

Die Ergebnisse im Detail:

Im Sinne der dreidimensionalen Ausleuchtung des Feldes Influencer:innen-Marketing wurden in der empirischen Forschung drei Berufsgruppen qualitativ befragt und entsprechend ausgewertet: Influencer:innen, Digitalagenturen und Auftraggeber:innen. In Summe wurden 18 Personen in qualitativen Gruppendiskussionen befragt.

 

@ Digitalagenturen:

-       Eine der wesentlichen Aufgaben der Agenturen besteht in der Recherche und Akquirierung von passenden Influencer:innen bzw. Content Creator:innen. Selbstregulierungs-Richtlinien und gesetzliche Rahmenbedingungen im Hinblick auf den Schutz von Minderjährigen werden grundsätzlich angewendet.

 

-       Prüfkriterien bei der Auswahl von Influencer:innen sind, ob diese Inhalte zu Gewalt, Sexualität, Alkohol und Drogenmissbrauch oder ungesundem Lebensstil produzieren. Zur Vermeidung von Desorientierung werden Influencer:innen ausgeschlossen, die sich politisch, vor allem im extremen rechten Lager, positionieren.

 

-       Compliance Vorgaben, schriftliche Vereinbarungen und Regelwerke für die Zusammenarbeit bzw. die Zeiträume der Kooperationen mit Unternehmen sind auf Seiten der befragten Agenturen nicht üblich. Regeln und Grenzen werden oftmals von auftraggebenden Unternehmen fixiert.

 

-       Die Entscheidung zur Zusammenarbeit und Empfehlungen zum erarbeiteten Content der Influencer:innen unterliegen Ermessensspielräumen der Verantwortlichen in den Agenturen.

Grundsätzlich wird Content zu folgenden Themen jedoch nicht toleriert:

Alkohol und Suchtmittel

Darstellung von Sexualität

Gewaltdarstellungen

Diskriminierung von Randgruppen

Graubereiche gibt es beim Thema verbale Gewalt und Schimpfwörter sowie Sexualität, die aus einem aufklärenden und emanzipatorischen Anspruch entsteht.

 

-       Ethische Grenzen bei Auftragsannahme: Die Brands müssen mit den Wertekatalogen der Agenturen kompatibel sein. Abgelehnt werden iaR Kund:innen, die politisch rechte Positionen repräsentieren, Gewalt verherrlichen, oder Frauen- und Minderheitenfeindlichkeit sind. Von eine:m Befragten wurde Nachhaltigkeit als Anspruch an die Unternehmen genannt.

 

-       Zertifizierungen und Blacklists zu Influencer:innen existieren innerhalb des Samples der Agenturen nicht.

 

@ Unternehmen und Auftraggeber:innen

-        Die meisten auftraggebenden Unternehmen treffen ausgehend vom Screening der Digitalmarketing-Agenturen ihre Entscheidungen über die Beauftragung von Influencer:innen. Gründe für das Outsourcing dieses Screenings an Agenturen sind:

Expertise im sich rasch wandelnden Feld des Influencer-Marketings.

Schnelle Recherche von geeigneten Influencer:innen

Effiziente Kontaktaufnahme

 

Prüfkriterien bei der Auswahl von Influencer:innen:

Reichweite und Kosten,

Brandfit der Influencer:innen

Authentizität der Persönlichkeit bzw. des zur Schau getragenen Lebensstils, die/der zur Marke passen muss

 

Ausschlusskriterien sind:

Personen/Inhalte, die demokratischen Werten entgegenstehende politische Positionierung erkennen lassen (Desorientierung)

In manchen Fällen gilt Politik generell als Ablehnungsgrund

Das zur Schau stellen von Sexualität und Nacktheit

Gewaltdarstellungen respektive Gewaltverherrlichung

Diskriminierung von Minderheiten

Konsum von Suchtmitteln

Prüfkriterien des Contents

Starker Fokus auf korrekte Kennzeichnung

Repräsentierte Werte und Botschaften, um das Kampagnenziel zu erreichen und die Marke nicht zu schädigen oder zu konterkarieren.

Damit werden – analog zu den Überlegungen bei der Beauftragung - auch Themen des Jugendschutzes geprüft.

-       Auch private Unternehmen führen weder eine Negativbewertung („Blacklist“) noch eine Zertifizierung von Influencer:innen durch. Das befragte Unternehmen der öffentlichen Hand besitzt eine Liste geeigneter Influencer:innen, um Ausgewogenheit bei der Beauftragung zu erreichen.

 

-       Erfolgsmessung: Beim Reporting der Kampagnen stehen klassische Messwerte und Key Performance Indikatoren im Zentrum, wie Reichweite, Engagement, Kommentare.

 

@ Influencer:innen

-       Berufliche Herausforderungen und Problemlagen:

Die Klärung der richtigen Kennzeichnung von Werbekooperationen: Das Bewusstsein um die grundsätzliche Verpflichtung besteht, das sichere Wissen im Detail existiert allerdings nicht. Veränderungen innerhalb der Plattformen sowie der Ländergesetzgebung führen unisono zu Verunsicherung. Teilweise werden regelmäßige Überlegungen zur Frage des Copyrights wie zum Thema Einhaltung der DSGVO beschrieben.

Influencer:innen und ihr Publikum: Influencer:innen (vor allem reichweitenstarke) vermissen eine konkrete Vorstellung von ihrem Publikum. Resonanz durch die Posts der Follower:innen fördert zwar die Vorstellung vom Publikum, liefert aber nicht zwingend ein korrektes Bild davon. Auch weitere Tools der Sozialen Medien für Publikumsforschung und Insights zur Reichweite, zu Clicks, zur Nutzungsdauer oder zu Herkunft, Alter, Geschlecht des Publikums liefern zahlreiche Daten, jedoch kein konkretes Bild. 

Diese Einschätzung bestätigt die Wahrnehmung der befragten Micro Influencerin (zw. 1.000 und 25.000 Follower), die eine gute Verbindung zu ihrem Publikum und dessen Informationsbedürfnissen beschreibt. Sie sieht sich als Person sehr klar in der Verantwortung gegenüber ihrem Publikum.

-            Klare Grenzen des beruflichen Tuns, die mit dem Thema Jugendmedienschutz einhergehen:

Eindeutige No-Gos sind: Gewalt, Hass, Drogen, Nikotin, Alkohol, Nacktheit oder sexuelle Handlungen

Sorgsamer Umgang mit Sprache und Minderheiten ist wichtig

Grenzen werden in der Darstellung des Privatlebens gezogen

Auch politische Positionierungen und damit potenzielle Desorientierung werden von den befragten Influencer:innen vermieden

 

-            Auftragsannahme: Es erfolgt eine genaue Abwägung der Kooperationen, da eine schlechte Kooperation mit Verlust des Vertrauens und der Glaubwürdigkeit einhergehen kann (Kapitalverlust)

Auszuschließende Branchen sind: Tabak/Nikotin, Glückspiel, Online-Gaming und nicht nachhaltig arbeitende Brands

Werbekennzeichnung wird grundsätzlich ernst genommen

Hersteller von hochprozentigem Alkohol ebenso wie Events, die zu Trinkexzessen einladen, werden ebenfalls abgelehnt.

-       Die rechtlichen Vorgaben des Jugendmedienschutzes sind den Influencer:innen nicht bekannt, deren Einhaltung resultiert eher aus allgemeinen Werten der Gesellschaft. Darüber hinaus wurzelt die Berücksichtigung der Faktoren zum Schutz von Minderjährigen in der Sorge vor einer Sperre durch die Plattformen und dem damit einhergehenden Verlust von Reichweite.

-       Feststellbar ist, dass mit einer Ausnahme keine:r der Influencer:innen des Samples Selbstregulierungsorganisationen kennt und keine:r mit den daraus resultierenden Kodizes vertraut ist.

 

 

Foto: © KatharinaSchiffl
Im Bild (v.li.): JMS-Vorsitzende Helga Tieben, JMS-GFin Alice Krieger-Schromm, ÖWR-Präsident Michael Straberger, ÖWR-GFin Andrea Stoidl, JMS- & ÖWR-Vorstandsmitglied Corinna Drumm

 

Über den Österreichischen Werberat
Der Österreichische Werberat (ÖWR) ist ein unabhängiges Organ des Vereins „Gesellschaft zur Selbstkontrolle der Werbewirtschaft“. Der ÖWR fördert mittels freiwilliger Selbstbeschränkung der Österreichischen Werbewirtschaft das verantwortungsbewusste Handeln der Werbewirtschaft und ihr Ansehen in der Öffentlichkeit. Die Zuständigkeit des Werberates erstreckt sich auf alle Maßnahmen im Bereich Wirtschaftswerbung. Im Detail hat der ÖWR die Aufgabe Fehlentwicklungen bzw. Missbräuche in der Werbung zu korrigieren und dient damit sowohl dem KonsumentInnen als auch verantwortungsbewussten Werbeunternehmen.


Über den Jugendmedienschutzverein
Der Verein zur Selbstkontrolle audiovisueller Medienangebote zum Schutz von Minderjährigen (Jugendmedienschutzverein JMS) ist das Selbstregulierungsorgan der audiovisuellen Medienbranche in Österreich. Das wichtigste Ziel des Vereins ist der Schutz von Minderjährigen vor audiovisuellen Inhalten, die ihre körperliche, geistige oder sittliche Entwicklung beeinträchtigen können. Hierfür wurden österreichweit einheitliche, verbindliche Jugendmedienschutzvorgaben in gemeinsamen Verhaltensrichtlinien festgehalten, die für die audiovisuellen Mediendiensten in Österreich gelten.


Pressekontakt:
Mag.a Andrea Stoidl
Österreichischer Werberat
Tel. Nr. +43 (0) 664 817 96 93
eMail: andrea.stoidl@werberat.at